Comment le changement climatique se fait sentir dans la forêt (Frederik Baumgarten & Yann Vitasse, WSL; This Ruthishauser, Kontextlabor)
Kaum eine andere Reaktion der Waldbäume zeigt gegenwärtig die
Wirkung der Klimaerwärmung so deutlich wie die Verschiebung der
phänologischen Phasen. Besonders im Frühling verschieben sich Aus-
trieb und Blüte näher zum Winter. In unseren gemässigten Breiten
sind die Entwicklungsprozesse der Pflanzen in hohem Masse tempe-
raturabhängig, sodass phänologische Beobachtungen auch für den
Wald sensitive Indikatoren des Klimawandels sind.
DieWahl einer günstigen zeitlichen Abfolge dieser wichtigen Entwick-
lungsphasen ist für das Überleben und die Fortpflanzung von Pflan-
zenarten essenziell. Evolutionsprozesse haben die Lebensweise in den
Wäldern bestmöglich an die naturräumlichen und klimatischen Bedin-
gungen angepasst. Der Blattaustrieb ist zeitlich so auf die Umwelt-
bedingungen abgestimmt, dass die Pflanzen Licht, Nährstoffe und
Wasser optimal ausnützen können, ohne dass sie von Frostereignis-
sen (siehe Kapitel Frost) beschädigt werden. Entsprechend sind auch
Entwicklungsprozesse zwischen Arten synchronisiert, sodass die ver-
fügbaren Ressourcen optimal (z.B. zeitlich versetzt) genutzt werden
können. Dies ist nicht nur unter den Pflanzen entscheidend, sondern
für alle Lebewesen im Nahrungsnetz des Ökosystems Wald – von Pil-
zen über Insekten bis zu Vögeln und Säugetieren (siehe Kapitel Tiere).
Innerhalb einer Pflanzenart reagieren Individuen mit einer Bandbreite an
verschiedenen Austriebszeiten auf den Klimawandel. Dies widerspiegelt
die Spannweite von Erbanlagen innerhalb einer Art (Variabilität der Ge-
notypen, Abb. 9) und vermindert, wenn man das Kollektiv betrachtet,
die Anfälligkeit auf Stressfaktoren wie Trockenheit oder Frost. Pflanzen
verfolgen seit jeher unterschiedliche Strategien, die es ihnen ermögli-
chen, unterschiedliche Nischen im Lebensraum zu bewohnen. Die mo-
derne Forstwirtschaft steht vor der grossen Herausforderung, Anpas-
sungen an ein trockeneres und wärmeres Klima zu begünstigen, um
die Ökosystemleistungen des Waldes langfristig bewahren zu können.
achsen in verschiedenen Schichten
Wälder sind aus phänologischer Sicht spezielle Ökosysteme, weil in
ihnen die Entwicklungsphasen auf unterschiedlichen Höhen über
Grund sichtbar werden. ImWald konkurrieren Pflanzen in der Boden-,
Kraut- und Kronenschicht um die Verfügbarkeit von Licht, Nährstof-
fen und Wasser. Entsprechend entwickelt sich das Bild des Waldes mit
den Jahreszeiten. Die Krautschicht auf dem Waldboden entwickelt
sich als erste und nutzt das kurze Zeitfenster, bis das austreibende
Laub der Bäume den Boden in den Schatten stellt und ihre Photosyn-
theseleistung drastisch beeinträchtigt (Abb. 10). Buschwindröschen
und Bärlauch sind zwei weit verbreitete Arten, die ihre Entwicklung in
dieses kurze Zeitfenster pressen. Solche Frühlingsgeophyten schöpfen
die Kraft aus unterirdischen Speicherorganen und können schnell auf
günstige Veränderungen im Frühling reagieren. Teppichartig breiten
sie sich aus, gut sichtbar mit dem saftigen grün auf dem oft noch
frisch ausgeaperten Waldboden.
Experimentelle Forschung hat die Phänologie verschiedener Al-
tersklassen der gleichen Art untersucht. Es zeigte sich, dass jüngere
Individuen von Waldbäumen eine riskantere Strategie verfolgen und
wesentlich früher austreiben, um genügend Licht zu bekommen (je
nach Art zwei bis vier Wochen, Abb. 11). Je älter ein Individuum wird,
desto mehr hat es sich «den Platz am Licht» erobert und reduziert
wieder das Risiko, von einem Spätfrost getroffen zu werden. Setz-
linge, die auf die Höhe der Baumkrone gebracht wurden, verspäteten
ihren Blattaustrieb leicht aufgrund des kühleren Mikroklimas (Abb.
11). Um Reaktionen von adulten Bäumen experimentell untersuchen
zu können, ist es möglich, nur deren Zweige zu verwenden. Anders
als bei Setzlingen treiben diese nicht früher aus, sondern widerspie-
geln tatsächlich den Blattaustrieb ihres Mutterbaumes.
Abrupter Klimawandel: Verändertes Zusam-
menspiel und extreme Ereignisse
Das sich schnell verändernde Klima bringt das fragil abgestimmte
Miteinander der Pflanzen im Wald durcheinander. Reagieren ausge-
wachsene Laubbäume mit früherem Blattaustrieb schneller auf eine
stärkere Erwärmung im Frühling und schliesst sich die Kronenschicht
früher, steht Pflanzen in unteren Schichten früher weniger Licht zur
Verfügung. Die zugrunde liegenden Prozesse sind nicht augenfällig,
gehen langsam vor sich und sind noch nicht soweit bekannt, als dass
Forschende die Veränderungen und Verschiebungen erklären könnten.
Weit offensichtlicher sind die Einflüsse von Extremereignissen. Die lan-
ge und intensive Trockenkeit im Sommer 2018 hat in der Schweiz weit
verbreitet Spuren hinterlassen19. Die vorzeitigen Laubverfärbungen in
einigen Kantonen (z.B. Jura, Basel-Land, Schaffhausen) sind ein klares
Zeichen für akuten Wassermangel und ein Selbstschutz vieler Bäume
(Abb. 12 und 13).
Seit 2018 beobachtet die Forschungsanstalt für Wald, Schnee und
Landschaft 1000 Buchen in der Schweiz, um die Prozesse besser ver-
stehen zu können und konkrete Empfehlungen für die Forstwirtschaft
zu formulieren, wie die Artenzusammensetzung und Waldpflege zu-
künftig gestaltet werden sollen. In weiteren Projekten werden ver-
schiedene Baumarten an grossen Umweltgradienten in der Schweiz
gepflanzt, um die Zukunftsfähigkeit von Arten zu testen20.
Eine weitere Konsequenz eines verfrühten, temperaturbedingten Aus-
triebs sind Frostschäden, die zu dieser Zeit im Frühjahr immer noch
wahrscheinlich sind. Am 11. Mai 2020 brachte ein Tief Luftmassen
aus dem Norden und liess die Temperatur oberhalb von 1100 Metern
über Meer nochmals unter den Gefrierpunkt fallen. Als Folge davon
verlor die Rotbuche in den höheren Lagen des Jurabogens teilweise
sämtliche neu ausgetriebenen Blätter (Abb. 14).